Krankhafter Exportdrang

Zwischen 1991 und 2008 stieg der Anteil des Exports am Bruttosozialprodukt Deutschlands von 26 auf 48 Prozent – also von einem guten Viertel verdoppelte es sich auf fast die Hälfte der Wirtschaftsleistung. Zum Vergleich: Die angebliche Exportnation Japan exportiert nur 16 Prozent ihrer Waren und Dienstleistungen, ein Sechstel.

Mit der einseitigen Orientierung auf den Titel „Exportweltmeister“ einher ging die systematische Vernachlässigung der Binnenkonjunktur.Politiker sparten die öffentlichen Haushalte kaputt und investierten nicht mehr. Erreichten staatliche Investitionen in Schulen, Brücken und Verkehrswege 1991 noch 1 Prozent des Bruttosozialprodukts wurde in den Jahren von 2003 bis 2006 sogar mehr öffentliches Gut vernichtet als neu geschaffen.

Und auch die Arbeitnehmer mussten ihren Teil zum Exportweltmeister-Titel beitragen: Von 2000 bis 2007 stiegen in Deutschland die Reallöhne um rund 1,5 Prozent (obwohl in dieser Zeit die lohnsenkenden Regelungen der Hartz-Gesetze noch nicht wirken konnten). Französische Arbeitnehmer schafften mehr als 10 Prozent Reallohngewinn in diesen 7 Jahren und die Briten sogar 18 Prozent (Letzteres wohl wegen des in dieser Zeit eingeführten Mindestlohns).

Exportweltmeister heißt: im Jahr 2008 ein Handelsüberschuss von 176 Milliarden Euro – um diesen Betrag wurde mehr exportiert als importiert. Und ein „globales Ungleichgewicht“ bei dem Deutschland mit geradezu krankhaftem Exportdrang versuchte, seine binnenwirtschaftlichte Arbeitslosigkeit los zu werden, die durch zu niedrige Lohnsteigerung, steuerliche Umverteilung von Arbeits- zu Kapitaleinkommen und staatliche Sparhaushalte zustande kam.

Das dürfte einer der Hauptgründe sein, warum die Weltwirtschaftskrise Deutschland besonders hart trifft und deutsche Politiker – wie gerade Kanzlerin Angela Merkel – nichts anderes einfällt, als zu versprechen, dass das Land wieder Exportweltmeister werden müsse.

Quelle: Kostas Petropulos in der taz (29.6.2009)


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