Geschichtsvergessene Nostalgie

In diesen Tagen werden viele Filialen des Karstadt-Galeria-Kaufhof-Konzerns geschlossen. Und allenthalben wird nun beklagt, dass die Innenstädte veröden, wenn die Kaufhäuser weg sind. Manche versteigen sich sogar, dem Kaufhaus den Rang eines Kulturguts zuzuschreiben, das unbedingt erhalten werden müsse.

Für die Beschäftigten sind die Schließungen ein herber Verlust und an den Standorten, wo es mit Hilfe der Gewerkschaft ver.di gelang, diese zu erhalten, wurde dies mit massiven Beiträgen der Belegschaft erkauft. Insgesamt sind die Schließungen ein Verlust an tariflich gesicherten Langzeit-Arbeitsplätzen.

Und klar, die in den 1970er-Jahren entstandene „Fußgängerzone“ ist ohne Kaufhäuser nur ein Schatten ihrer selbst – 1-Euro-Shops und Handy-Läden machen eben keine „Flaniermeile“, ebensowenig wie die immer gleiche Ansammlung von Kettenläden (H&M, TKmax, Esprit etc.). Aber es ist nicht der Online-Handel, der den Kaufhäusern den Garaus macht, sondern der ewige Drang nach Kostensenkung und Produktivitätssteigerung, der dem Kapitalismus innewohnt.

Die Kaufhäuser selbst waren eine kapitalistische Rationalisierung. Sie traten an die Stelle des „Fachgeschäfts“. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert boten die Kaufhäuser als „Konsumpaläste“ auf engstem Raum ein gigantisches Warensortiment. Die Kund*innen mussten plötzlich nicht mehr die Geschäfte für Damenoberbekleidung, Mieder- und Kurzwaren, Schuhgeschäfte und Parfümerien aufsuchen. Alles fand sich unter einem Dach – und die Kaufhauskonzerne machten es den Einzelhandels-Unternehmern schwer, die sich oft nur in Nischen halten konnten.

Aber nichts im Kapitalismus ist ewig – und so bedrohten ab den 1990er-Jahren die „Shopping-Malls“ außerhalb und innerhalb der städtischen Zentren die Kaufhäuser. Dutzende bis hunderte Läden unter einem Dach versprachen ein anderes „Kauferlebnis“ – und plötzlich wirkte das Kaufhaus altmodisch. Gespart wurde dann vor allem am Personal und dessen tarifvertraglicher Sicherheit. Ins Kaufhaus zogen selbstständige „Vertreter*innen“ ein, die Verkaufsstände bekannter „Marken“ betrieben – vor allem im Bereich der Parfümerie war dies auffällig, aber auch auf den Bekleidungsetagen, wo nicht mehr nach Anzug, Hemd und Freizeitmode sortiert wurde, sondern Flächen diverser „brands“ das Bild beherrschten.

Währenddessen verödeten die Zentren der Klein- und Mittelstädte, die zwischen 10.000 und 50.000 Einwohnern versorgt hatten. Alteingesessene Familiengeschäfte schlossen und nichts trat an ihre Stelle. Und es war absehbar, dass die scheinbar friedliche Koexistenz von Kaufhäusern und Kettenläden in den Fußgängerzonen nur solange funktionieren würde, wie die Ladenmieten nicht jede Marge auffressen würden. Es war deshalb durchaus kein Zufall, dass der letzte Besitzer des „deutschen“ Kaufhauskonzerns, der aus Karstadt und Galeria-Kaufhof (zwangs-)gebildet wurde, ein österreichischer Immobilien-Besitzer war, der eher an einer „Wertsteigerung“ der Geäbude als am Betrieb von Kaufhäusern interessiert war.

Ähnlich wie der Selbstbedienungs-Supermarkt den Lebensmittel-Einzelhandel verdrängte, verdrängten Kettenläden, Online-Handel und die (inzwischen selbst unter dem Druck von Leerstand stehenden) Shopping-Malls das Kaufhaus, das einst das „Fachgeschäft“ verdrängt hatte. Es ist die ewige „Marktbereinigung“, die im Kapitalismus stattfindet, denn es muss Rendite erwirtschaftet werden – auch wenn dies nicht mehr durch Umsatzsteigerung aufgrund wachsender Märkte möglich ist. Gerade wenn nichts mehr wächst, wenn die Konkurrenz nur noch über Kostensenkung laufen kann, dann sind Betriebsschließungen unvermeidlich.


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