Die Seele der Bahnhöfe

Am Anfang war Altenbeken – einst Umsteigepunkt auf dem Weg von Bielefeld nach Kassel. Beim Warten auf den Anschlusszug blieb Zeit für ein Pils in der Bahnhofskneipe. Verraucht, mit Resopaltischen präsentierte sich der Ort noch um die Jahrtausendwende mit dem Charme der 1960er-Jahre. Es war ein Ort, an den zu kommen man sich ein- oder zweimal im Jahr freute. Die Kneipe war der Bahnhof Altenbeken.

Auch der Stuttgarter Hauptbahnhof hatte so einen Kneipen-Ort bevor der Kopfbahnhof mit dem Baubeginn von „Stuttgart 21“ seiner Seele beraubt wurde. Es war die Kneipe etwa in der Mitte der 16 Gleise, wo man sich auf eine „Halbe“ traf. Der „Penner“ und der Anzugträger spülten hier ihren Ärger hinunter, die Pendler genehmigten sich ihr Feierabendbier – und manchmal kam man miteinander in ein kurzes Gespräch unter Fremden.

So war es auch noch im Berliner Ostbahnhof bevor 2012 oder 2013 der „Food-Bereich“ umgebaut wurde. Plötzlich war der Tresen weg, der für die von Auswärts-Terminen heimkehrenden spätabends noch die Möglichkeit bot, einen schnellen Schluck zu nehmen und mit dem Stuhl-Nachbarn bei einer Currywurst ein paar Worte zu wechseln. Heute ist das nicht mehr möglich; das „rumsitzen“ war wohl zu wenig umsatzträchtig. Irgendwie konsequent, dass das Bahn-Management auch die Zahl der am früheren DDR-Hauptstadtbahnhof ankommenden und abfahrenden Fernzüge systematisch reduziert. Der neue Hauptbahnhof ist keine Alternative. Kein Bier und keine Currywurst wird nach 22 Uhr in Deutschlands zentralem Hauptstadt-Bahnhof gegenüber dem Kanzleramt verkauft. Nur Polizisten patroullieren durch die leeren Hallen.

Als Jugendlicher hätte ich gerne für die Modelleisenbahn den Bahnhofs-Bausatz „Baden-Baden“ gehabt – allein, er war zu teuer. Wer heute dort ankommt oder abfährt befindet sich in einer Betonrinne auf einem schmalen Bahnsteig. Statt einem mondänen Kurstadt-Bahnhof, ein unbedeutender Haltepunkt an einer Schnellstrecke.

München und Frankfurt hätten noch am ehesten das Zeug dazu, von Reisenden als beglückende Orte des Ankommens, Abreisens und Umsteigens wahrgenommen zu werden – würde das Bahnhofsmanagement die Querungen des Kopfbahnhofs nicht vollstellen mit den Metallbuden, die die Filialen der Food-Ketten beherbergen. Coffe-to-go, Smoothies und Hamburger statt Bier und Leberkäs-Semmeln. Das Ziel des Bahn-Managements scheint zu sein, die unterirdische Ladenzeile mit Gleisanschluss des Hannoveraner Hauptbahnhofs als Standard durchzusetzen. Oder die geleckte Hochglanz-Marmorhalle der Leipziger Station. Orte wo man nicht hin will und die man fluchtartig verlässt.

Und in Ulm, wo ich als Schüler die Nummern der Dampfloks, die dort ein- und ausfuhren, in ein Heft schrieb, wo das Bundesbahnhotel eine Talentschmiede für spätere Sterneköche war, da versperrt gerade die Baustelle einer Tiefgarage den Ausgang.


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